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333 – Das Zementbahnrennen

333 – in Darmstadt Heizerei. Und zwar nicht irgendeine. Eine, die es europaweit so noch nicht gegeben hat. Noch nie gab es so viele der Geräte, die eigentlich von ihrer Schönheit, ihrer Anmut, ihrem Wert und ihrer – zumindest ursprünglichen – Leistung ganz sicher nicht dafür gemacht sind, Rennen zu fahren, bei einer Veranstaltung. Aber genau das macht den Reiz aus. Rohrlenker-Modelle von Vespa sind hier im Mai 2022 auf dem Diatest-Velodrom, der ehrwürdigen Radrennbahn in Darmstadt, beim zweiten Zementbahn-Rennen der Hoffmann-Rennstaffel um Thomas Knickmeier und Thomas Steinforth unterwegs. Die Rennstaffel mit ihren auf die Zahl des letzten Baujahres 1957 limitierten Mitgliedern kümmert sich mit Liebe und sportlichem Ehrgeiz darum, nach dem Vorbild berühmter Rennställe das Kulturgut Rohrlenker-Vespa ambitioniert bewegt zu halten.

183 Vespa-Roller, so viele gibt es sonst nicht auf einem Fleck. Sie sind aus ganz Europa angereist, zum Teil sogar auf der eigenen Achse, was echt eine Herausforderung ist. Besonders, wenn England der Startort ist wie für Warren Jobson vom Vespa-Club in Sussex, den seine Vespa bis kurz vor Darmstadt gebracht hat, bevor sie kurzfristig die Flügel gestreckt hat. Eine Motor-Überholung „für umme“, wie Thomas Knickmeier sagt, hat ihn wieder flott gemacht fürs Rennen, das in diesem Jahr seine zweite Auflage bekommen hat nach 2015. Und nach zwei Verschiebungen wegen Corona.

Du hast den Eindruck, es sind alle irgendwie süchtig, wieder raus zu kommen, dabei zu sein, sich auszutauschen mit anderen. Die ganze Szene ist da, hat ihre Schätze mitgebracht nach Darmstadt. Robin Davy, der weltbekannte Vespa-Sammler aus München, ist da. Er hat eine der Ur-Modelle dabei, die V 98. Eine von rund zwölf Stück, die an diesem Wochenende mitten in der Grünfläche des Velodroms im Gras lümmeln. Bundesweit gab es noch nie so viele auf einem Fleck, sagt Thomas Steinforth, einer der Köpfe hinter dem Zementbahnrennen. Ralph Bollag aus Zürich ist gekommen, brennt hier mit seiner roten Renn-Vespa eine Runde nach der anderen auf die Bahn. Nur zwei von 183, die Lust auf Steilkurve, auf Herausforderung haben.

Und natürlich sind auch die vier Oberfranken vom Vespa-GS-Team Franken wieder am Start, Wiederholungstäter zum Großteil, denn Werner Reiß, Udo Pötzinger und Horst Klaus hatten schon einmal, bei der Premiere 2015, das diebische Vergnügen auf dem Diatest Velodrom, Dietmar Rieß ist sozusagen neu mit dem Zementbahn-Virus infiziert. Denn es ist nicht nur Rennluft, die du hier schnupperst – mit technischer Abnahme, Gänsehaut vor der Startaufstellung, der Flagge von Zementbahn-Legende Hans Huck entgegenfiebern. Es ist Geschichte, die du atmest. Schließlich sind nur Vespen zugelassen, die zwischen 1946 und 1957 gebaut worden sind. Kein Roller jünger als 65 Jahre. Viele von ihnen sind im Originallack. Zeigen die Spuren ihrer Geschichte, tragen Rost und Kratzer mit dem Stolz einer italienischen Schönheit. Oder eines der Lizenzbauten aus Belgien (MISA), England (Douglas), Frankreich (ACMA) oder eben Hoffmann, wie die von Horst Klaus, der eine der raren Hoffmann-Vespas um die Bahn jagt.

Tja, wenn sie nur mal erzählen könnten: Dietmar Rieß würde es brennend interessieren, was seine ACMA von 1956 alles erlebt hat, bevor sie zu ihm gekommen ist. Doch nicht nur ihn. Udo Pötzinger hat da einen gewissen Vorsprung. Der leidenschaftliche Sammler aus Bayreuth kennt die Geschichte der meisten seiner Vespen mehr als genau, oft genug sind sie durch wenige Hände gegangen, haben die Zeiten als ein bisschen aus dem Blick geratenes Kulturgut in Schuppen und Garagen überdauert.

Ihre Geschichten sind zwei von 183 an diesen zwei Tagen in Darmstadt auf der Rennbahn, die vieles von dem ein bisschen in den Hintergrund rücken, was die Zeit gerade so bedrückend macht. Zwei Jahre Pandemie. Ungewissheit, was im Herbst kommt. Den Krieg Russlands gegen die Ukraine. Explodierende Preise.

333 ist die Zahl des Wochenendes. 333 Meter lang ist die Rennbahn. 30 Grad Neigung haben die Steilkurven, in die sich die Vespisti aus Deutschland, der Schweiz, Italien, der Türkei, Schweden, Frankreich oder Belgien nach kurzem Anfreunden mit der Bahn hineinlegen, als säße der Mann mit der Nummer 46, Valentino Rossi, höchstselbst am Rohrlenker. 15 Sekunden brauchen die ganz Schnellen. Alle anderen fühlen sich auch sauschnell und irre mutig. Weil es fürchterlich egal ist – also eigentlich – wer wie schnell ist, weil ja – zumindest eigentlich – die Gleichmäßigkeit ganz oben steht. Vorgabezeiten treffen, die du dir selber herausfährst.

333 wird also auch in die Vespa-Geschichte eingehen. Nicht wie diese doofe kriegerische Auseinandersetzung bei Issos. Sondern als 333 – in Darmstadt Vespa-Heizerei.